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Der Alltag,
das Andre und
der Rest
Die Menschen:

-:S.

-:Kindheiten ... :
::1 I 2

-:Pro [l] to-Typ




Die Welt:

-:Weihnachten 2004

-:In der Buchhandlung ... :
::1 I 2 I 3

-:Ein Wochenende

-:Feuertanz 03




Das Ich:

-:Irgendwann im März

-:Laufen im Regen

-:Strickweste

-:MärchenMädchen




S.:

Am Montagmorgen aufgewacht mit einer Melodie im Kopf. Eine mir unbekannte Melodie, dem Klang nach ein altes Kirchenlied, mit Gesang, doch ich weiß nur die letzten Worte: "... und hat ein Herzeleid."

Während der Mittagspause in der alten Tageszeitung blättern und die Anzeige sehen. S. ist tot.

Vor fünfzehn Jahren haben wir uns kennengelernt, beide gerade aus tiefen Löchern gekrabbelt, uns in einer hellen, fremden Welt umschauend. Da sind wir zusammen losgezogen, er und ich. Mit- und nebeneinander, doch niemals Hand in Hand. Eine starke Verbundenheit. Viele Parallelen.

Er war so ein unauffälliger, etwas linkisch und einfach wirkender Typ. Hat oft gedauert, bis man dahintersah, manchen gelang es nie. Seinem Vater zum Beispiel. Der viel zu oft sagte, Bub, mach Deine Arbeit ordentlich, kümmere Dich um Deine Frau und sei zufrieden, was willst Du denn immer. S. wollte viel. Am meisten wollte er leben. Und zwar so, wie er sich das Leben erträumte. Er hat oft vom Leben geträumt. Wie es sein könnte. Stundenlang konnte er davon erzählen, dann zog er sich wieder zurück, in sein Leben, das mit den Löchern. Die Löcher und das Leben, bei ihm war das irgendwie eins. Seine Löcher und sein Leben. Das war kein Traumleben.

Manchmal hat er mir erzählt von seinen Erfindungen. Oft war er am Tüfteln und Basteln und Konstruieren irgendwelcher Maschinen, ich hab das nie so richtig verstanden, die Funktionsweise und wozu es gut sein soll. Seine Begeisterung hat mir gefallen, ich hab ihm gern zugehört. Einer seiner Erfindungen wurde, so hat er erzählt, auch von jemanden andren erfunden, der das für viel Geld an eine große Institution verkauft hat. S. war vielleicht genial, aber nicht clever.

Einmal hat er sich verliebt, da war er schon verheiratet. Das war nicht gut. Das wäre aber auch vor der Hochzeit nicht gut gewesen. Der Traum vom Leben mit dieser Frau war wie eine seiner Erfindungen, irgendwie.

Er hat manchmal Sprüche gebracht, die ich immer wieder gern zitiert habe. Die schreibe ich nicht auf. Die werde ich wahrscheinlich nie mehr sagen. Es gibt Sachen, Dinge, die sterben mit dem Menschen, das weiß ich. Es gibt jetzt niemanden mehr, der mal viele lange Minuten kämpfen musste, um mir einen Socken anzuziehen. Als er mit dem zweiten Socken beschäftigt war, zog ich mir den ersten wieder vom Fuß. Ein Detail einer schlimmer Geschichte, im Nachhinein haben wir gelacht darüber, weißt Du noch, die Socken? Jetzt weiß nur noch ich, wie es wirklich war, weil da niemand mehr ist, der außer mir dabei war.

Wie wir da mal in dieser Kneipe saßen und uns über die Wesen im andren System unterhielten, die mit großem Interesse den blauen Ball und die darauf rumwuselnden Elemente betrachten. Weder Plan noch Sinn in diesem chaotisch anmutendem Hin- und Hergerenne erkennen können, sich amüsieren über das Gezeter der kleinen Menschlein, ihre Ahnungslosigkeit und Wichtigtuerei.

Pubertäres Möchtegern-Philosophieren, sicher. Doch wir haben gelacht und es hat uns geholfen, in unseren postpubertären Phasen. Es hat nur zeitenweise geholfen. Abwechselnd sind wir immer wieder auf die Löcher zugestolpert und manchmal auch hineingefallen. Aus dem letzten hat er mich rausgezogen. All mein Wehren hat nichts geholfen, er war stärker.

Er war auch stärker, als er seinerseits wieder gefallen war. Weigerte sich einfach nach dem Seil zu greifen, blieb sitzen, war nirgendwo zu packen. Das wars dann mit uns beiden. Wir haben nie wieder voneinander gehört.

Manchmal hab ich gedacht, Mensch, wie es dem S. wohl geht, da ruf ich demnächst mal an. Da war nichts, was dem entgegengestanden wäre, nichts, außer daß es grad Anderes zu tun gab. Am Computer sitzen, schlafen, aufräumen, chatten, lesen, an alte Zeiten denken, häkeln, Löcher in die Wand starren, arbeiten natürlich; alles war für den Moment wichtiger. Anrufen kann ich ja morgen noch. Hat doch Zeit. Ich hab doch Zeit. Doch S. hat keine Zeit mehr.

Ich muss es meinem Sohn sagen ... - ... Er zuckt zusammen. Ja, natürlich erinnert er sich. Der war cool. Die Frau hatte ein Motorrad, und da war ein Kind. Ja. Und Hunde, große Hunde. - - - An die Hunde habe ich nicht mehr gedacht. Ich habe die Hunde vergessen. Was ist das denn für ein Erinnern, in dem die Hunde fehlen. Was fehlt denn noch?





Kindheiten ... :

In´s Abteil steigen Oma, Mutter, Sohn und Tochter. Der Junge vielleicht 8, das Mädchen 5 Jahre alt. Die Mutter redet fortwährend, die Ansammlung der Worte nur unterbrochen von tiefem Seufzen, Stöhnen und höhnischem Auflachen. Dann ist sie still, das Mädchen setzt an, ein halber Satz in Kleinmädchenstimme, da wird sie unterbrochen. Von der Mutter, im gleichen Tonfall der Litanei, laut, unangenehm, schneidend ermahnt sie das Kind, es solle leiser sein, psst, leiser. Und leise wiederholt das Kind seinen halben Satz, da plärrt es von gegenüber, sie solle sich gefälligst den Mund abwischen, dieser sei noch ganz verschmiert von Schokolade. Ein kleines Mädchen wischt sich über den Mund, der Zug fährt an, sie beginnt erneut zu sprechen, da fordert die Mutter ihre Tochter zum Tauschen der Plätze auf, denn das kann sie nicht, rückwärts fahren, das geht nicht, nein, um Himmels willen, nur nicht rückwärts fahren. Das Mädchen nun auf dem andren Platz hält die Arme verschränkt, presst die Lippen zusammen und starrt düster in´s Leere. "Schau nicht so blöd", dein Bruder ist auch brav", zischt die Mutter und wendet sich dem Sohn zu.
Da ist meine Haltestelle, ich kann raus, mir ist schlecht.





Sympathisch sah sie aus, rote Locken unter grüner Schirmkappe, Kinderrucksack auf dem Rücken. Kind an der Hand, der Junge ungefähr sechs Jahre alt. Und er frägt seine Mutter, warum sie denn nicht mit der S-Bahn nach Hause fahren. Die auf den ersten Blick Sympathische meint, sie kenne sich mit der S-Bahn nicht aus, und nicht diese Aussage macht stutzig, es ist der Tonfall, ein gnadenlos verächtlicher Tonfall. Der Junge, stolz: "Aber ich kenn mich aus" und er ist glaubwürdig, mit Freunden, Vater, Oma bestimmt schon oft gefahren. Die erst Sympathische: "Du! Ja, Du kennst Dich mit allem aus, grad du! Nicht mal lesen können aber sich mit der S-Bahn auskennen wollen, ha!. Du hast von nichts eine Ahnung, lern erst mal lesen! Du meinst, Du bist der Größte, wie! Ha! Als wenn Du Dich mit irgendwas auskennen würdest!"
Rote Locken und grüne Mützen verbergen blanke Dummheit gepaart mit Ignoranz und Lieblosigkeit nur sehr kurzfristig ...

Zu manchen Kindern sollte man sich hinabbeugen. Ihnen die Hand hinhalten. Und leise sagen, daß sie in Ordnung sind, so wie sie sind. Anstatt am Abend noch immer kochend vor Zorn auf belanglose Internetseiten zu schreiben. Und die Wut an Möbelstücken statt an Müttern auszulassen hilft auch nicht.






Pro [l] to-Typ:

Glasigblasige Augen blicken aus dem rotgesoffenen Gesicht, auf dem wie eingemeisselt ein blödes Grinsen liegt; die Jeansjacke umspannt stramm einen fußballartigen furchtbaren Bauch. Der Zopf im Nacken scheint das Einzige, was von einer Jugend, die vor ungefähr zwanzig Jahren stattgefunden haben mag, übrigblieb. Vielleicht auch die Arroganz in der Haltung. So arrogant wie er diesen furchtbaren Bauch zur Schau stellt, so arrogant hat er in jüngeren Jahren seine Dummheit in ihrem ganzem Ausmaß der Welt präsentiert.

Der sitzt so breitbeinig in der U-Bahn, daß ihm ein Sitz nicht genügt, egal wie voll die Bahn ist, der sitzt fest und feist.
Der johlt gern.
Der schwadroniert über die Gesellschaft und amüsiert sich beim Schauen von Talkshows über die Beschränktheit von Talkshowschauern.
Der schwärmt von seiner Jugend, dieser Jugend, damals.

War eine gute Zeit, das, mit den andren. Manchmal begegnet er einem von ihnen. Dann geht es los. Weißt Du noch? Damals? In der und dieser und jener Kneipe? Das war doch was. Erinnerst Du Dich? Das Saufen. Die Weiber. Saufen und Musik und Weiber und Motorräder. Manche erinnern sich gern mit ihm, und bald johlen sie dann zusammen. Andre haben gerade keine Zeit und blicken beim Weggehen scheu auf die Frau an seiner Seite, die das Kind an der Hand hat.

So könnte das sein. Oder anders.






Weihnachten 2004:

In der Mittelhalle des Hauptbahnhofes haben sie ein kleines Tischchen aufgestellt, darauf ein Schild "Hilfe für Asien" und eine Spendenbox. Kurze Unterhaltung mit dem aufpassenden Bahnerer (Ja, er glaubt, daß das hier gespendete Geld den Spenden der Bahnmitarbeiter zugerechnet wird, welche Herr Mehdorn dann verdoppeln will, es tut ihm leid, daß er es nicht sicher weiß, aber er ist hier halt auch nur abgestellt). Während des Gesprächs, höchstens drei Minuten lang, wurden von vier Menschen insgesamt sechzig Euro in die Box gesteckt. Noch ein bißchen zugucken aus der Ferne, es wurde unablässig Geld in die Box gesteckt. Viel Geld.

Zur gleichen Zeit versuchten im Untergeschoß des Hauptbahnhofes zwei Sanitäter, eine der Obdachlosen aufzuwecken.






In der Buchhandlung ...:

Eine vielleicht Sechzehnjährige, very stylish, in der Bahnhofsbuchhandlung zu ihrer Freundin: "Achtzehn Euro für ein BUUUCH?!?! Also wenn ich ACHTZEHN Euro für EIN Buch ausgebe ... dann muss das mindestens - tausend! Seiten haben!"





Mann: "Schau, "Die glückliche Hausfrau", das ist doch was für dich!"

Frau winkt ab.

Mann, mit Buch fuchtelnd: "Warum denn nicht, schau!"

Frau, leise: "Wer sagt denn, daß ich glücklich bin."

Mann: "Ich!"

Frau blickt ihn an.

Mann, Buch beiseite legend: "Dann eben nicht."





Staunend dreht der junge Mann das Buch in der Hand. "Daß das hier erhältlich ist, ausgerechnet hier - und schau, da liegt auch ein Sloterdijk. Man kann das ja gar nicht kaufen. Stell dir vor, jemand fragt dich, wo du das her hast. Und dann musst du sagen: aus der Bahnhofsbücherei."

Aha. Sich mit arroganter Großspurigkeit vor seiner Begleiterin spreizen, einen Laden aufgrund seines Standortes im Hauptbahnhof anstelle des Angebots beurteilen - aber nicht in der Lage sein, zwischen Buchhandlung und Bücherei zu differenzieren ...






Es ließ sich am Wochenende nicht vermeiden, über eine frische weite Schneedecke zu gehen. Schlimmes Gefühl. So zerstörerisch, dieses Tun.





Es ließ sich am Wochenende nicht vermeiden, mit einem Menschen zu reden, dem ein glitzernder dicker Rotzetropfen an der Nase hing. So anstrengend das Gespräch, das Bemühen, nicht andauernd auf diese Nase zu starren. Ekel und Erleichterung zugleich, als der Tropfen endlich herunterfiel.





Feuertanz 03:

Da war mehr schwarz als bunt und wenig dazwischen; mehr jung als mittelalter, aber auch richtig alt; mehr Sonne als Wind und kein Regen; der Parkplatz für einen Euro und ein Wasser für zwei Euro und der Klobesuch für viel Geduld; ein bißchen Dope und viel Bier und wenig Besoffene.

Haut, rosa gebrannt. Trinkhörner, am Gürtel. Haare, in allen Variationen. Schottenrock und Leder und Samt und Spitze. Gelenk- und Eheringe.

Freundlich: Der Typ vor dir, mit dem du immer ein bißchen Platzrangeleien hast (er ist so groß und macht sich breit), schwingt mit einemal seinen Arm um dich, greift dich von hinten und schiebt dich nach vorne.

Rücksichtlos: Ein Typ hinter dir nervt alle Umstehenden in seiner grenzenlosen Begeisterung, indem er unentwegt mit den Armen in der Luft fuchtelt und wirklich jeden in Reichweite mit seinen Ellenbogen kontaktiert. Schmerzhaft. Er nervt nicht allzu lange, wir waren in der Überzahl :-)

Herzlos: Die Mutter, die ihre beiden vielleicht fünf und sieben Jahre alten Kinder ganz nach vorne ans Gatter [soll heißen: die Absperrung] neben die Boxen schiebt ("damit ihr was seht" - tun sie eh nicht mit der Größe), um weiter hinten auf freierer Fläche sich austoben zu können. Teufelsweib steht auf ihrem Shirt, ohne Hörschutz sind die Kinder. Die sich ständig die Ohren zuhalten, verängstigt wirken und irgendwann Hand in Hand den Ausweg suchen.

Zärtlich: Der Junge, Typ Fürst der Finsternis, der seiner Freundin unentwegt sachte den Rücken streichelt, es scheint ihr nicht gutzugehen, sie dann bei der Hand nimmt und sich vom Konzert trennt, um sie beiseite zu führen.

Cool: Die Security, die auf die hinter dem Gatter abgestellten Rucksäcke achten, den Besuchern ihre hinter dem Gatter gelagerten Getränke reichen (und diese dankbar schluckweise annehmen), den schottenberockten Menschen auch ein siebtes oder achtes Mal rausziehen, ihm altbekanntmäßig auf die Schultern klopfen und freundlich-geduldig den Ausgang aus der Sperrzone zeigen.

Schön: Der Himmel während des Sonnenuntergangs, gegenüber der Bühne.

Angst vor In Extremo. Der Feuershow wegen. Nur die Aussicht auf ein paar Bilder läßt mich vorne bleiben, und wenn die zwölf letzten verknipst sind, und das werden sie schnell sein, dann nix wie weg. Der Film ist voll und ich bleibe. Das Feuer kommt und ich staune. Es ist schön. Es ist warm. Die Wärme tut gut. Das Feuer geht. Es kommt und geht und ist jedesmal schön und warm. Ein Musiker blickt nach rechts oben und ich drehe mich um. Ein Feuerwerk über der Burg. Panik kurz im Rückgrad, aber das Feuerwerk ist ja stumm. Ein gespenstisch stilles Feuerwerk, ohne Krachen und Zischen. So mag auch ich Feuerwerke. [Natürlich habe ich begriffen, sogar einigermaßen schnell, daß der Feuerwerkslärm lediglich von der Musik übertönt wurde.]

Schön war das alles. In der mittlerweile so vertrauten Gemeinschaft, dem Vater meines Sohnes, deßen Gattin und dem Sohn, loszuziehen. Picknick auf der Wiese. Treffpunkt vereinbaren. Sich treiben lassen. In der Menge der klatschenden Hände die schwarzbehandschuhten erkennen: Da ist mein Kind und es geht ihm gut. Sich ab und zu begegnen, am Ende treffen. Nächtlicher Spaziergang. Im Auto dann erzählen.

[Nachtrag]
Ein Nachtrag für die Kinder. Die im Dorf einen Stand aufgebaut haben, auf der Hauptverkehrstraße, einem kleinen Gäßchen, von der Burg ins Dorf und somit zu den Parkplätzen. Ein Sparschwein stand auf dem Tischchen, dahinter ein handgemaltes Schild: Für die Spende. Für die Spende gab es dann Kirschen und Apfelstücke und Wasser und mehr. Auf meine Bitte, ein Photo machen zu dürfen, rollten sie stolz ein großes Transparent auf und platzierten es hinter dem Tisch. Den Text darauf hab ich in meiner Überwältigung nicht wahrgenommen. Von der anderen Seite kam ein Junge dazu, mit einer blauen Schüssel, darin viele Kirschen. Vier Stück für zwei Cent. Haben wir auch gekauft und Trinkgeld gegeben, die fliegenden Händler haben es schließlich schwer. Die Kinder waren zwischen ca. vier und sieben Jahre alt.



Die HPs:

Saltatio mortis
Schandmaul
Subway to Sally
In Extremo

Die fünfte Band hab ich nicht vergessen. Kann man aber vergessen. Ich verlinke im Allgemeinen nur, was mir gefällt.

Meine Bilder hierzu.








Irgendwann im März verschwanden die Blumen. Die Meisterin des Sprechens durch die Blume ist verstummt. Einst klang sie durch die Glockenblume, flüsterte mit dem Windröschen, durch die Rose konnte sie verletzen, heilen durch das Tausendgüldenkraut. Strahlen mit den Sonnenblumen, weinen mit den Margariten. Lilien und Gänseblümchen, Kornblume und Mohn, alle Sprachen durch alle Blumen, doch nun sind die Blumen weg, niemand hat sie geschützt, sag mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben, ich habe keine Stimme mehr. Einzig eine Engelstrompete ließ man ihr. Eine Engelstrompete und sie allein in diesem kahlen Raum, sie wird es nicht wagen, oder doch?, sie ahnt, wen und was das Dröhnen der Blume zerschmettern würde.








Während ich durch den Regen laufe, mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Kopf, an den Regenmantel mit Kapuze denkend, der zuhaus am Haken hängt, - es ist sehr viel Regen, der da unaufhörlich, ruhig, vom Himmel fällt - , während all dem fühle ich, daß etwas falsch ist. Und bemerke, daß ich das tue, was scheinbar alle tun, die ohne Regenmantel oder Schirm durch den Regen laufen: die Schultern hochziehen, den Blick nach unten wenden. Ich strecke mich, schaue nach vorne, Wasser läuft mir von den Haaren in´s Gesicht. Eine vergrabene Erinnerung: Barfuß springe ich lachend durch den Regen. Wann nur habe ich damit aufgehört? Und warum?






Meine Strickweste ist weg. An keinem Arbeitsplatz und auch zu Hause ist sie nirgends zu finden, wahrscheinlich liegt sie in der Eisenbahn. Kind, wo hast Du nur Deine Gedanken. Ja wo hab ich sie denn? Sie sind an den Arbeitsplätzen und zu Hause und in der Eisenbahn. In Griechenland und im Wunderland, in Sterbezimmern und im Juchhee des Kindes. Sie wandern von Güstrow zu Dora und weiter ins Leere, sind bei H. und F. und manchmal bei euch. Unterhalten sich mit allegorischen Figuren und leibhaftigen Gestalten.

Ein Teil der Gedanken ist gekrallt. Von Leuten wie Frau S. und Herrn D.; und Ereignissen wie diesen und jenen. Ungutes Geschehen. Gekralltes Gedankengut, ganz und gar nicht gütig. Kann nicht gehen, nicht fliessen, nicht schweifen, wenn man das doch nur liegenlassen könnte. In der Eisenbahn zum Beispiel.

Schön und gut, Kind, aber was ist denn nun mit der Strickweste?
Strickweste?






... ein automatisch-flüchtiger Blick in den Spiegel und ein Schreck, ich halte den ungläubigen Blick von Schneewittchen fest, doch kaum aus, sie starrt mich aus dem Spiegel an; die Sonne macht´s, die hier durch´s Fenster strahlt und meine Haare Farbe bekennen und mich zu Schneewittchen werden lässt. Schwarz wie Ebenholz, weiss wie Schnee, rot wie Blut, schwarzgefärbt bin ich, blassfahle Haut hab ich und meine Lippen sind wie immer wund gebissen, ich bin eine Schneewittchenkarikatur.

Am liebsten mochte ich das Mädchen mit den Schwefelhölzchen, aber ich hab Angst vor ihr und ihrer Traurigkeit, der unendlichen, wie lange dauert es, wieder und wieder die Angst, hoffentlich darf sie auch diesmal sterben; die alle Anspannung abfallen lassende Erleichterung spüre ich heute noch, endlich ist sie tot.

Die Froschprinzessin mochte ich, obwohl mir der Frosch leid tat, und die Gänsemagd, aber am meisten wollte ich Dornröschen sein, 100 Jahre schlafen und dann weitersehen, mein Opa sang mir oft vor, daß in 100 Jahren alles vorbei sei, also gut, Dornröschen.