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Das Spiel gefällt dem Spieler nicht mehr. Vielleicht hat es ihm zu Beginn gefallen, er erinnert sich nicht, wundert sich nur und beginnt sich gar zu ekeln: Steckt denn Sinn in all dem Treiben?, sie würfeln, werfen andre raus und dann johlen sie; sie würfeln, werden rausgeworfen und dann ärgern sie sich; sie müssen würfeln, ohne es zu wollen, sie dürfen nicht würfeln, obwohl sie es möchten - unbegreiflich!

Er versucht die Regeln zu verstehen, das klappt nicht.
Er erkundigt sich nach den Regeln und erhält keine Auskunft.
Er spielt nach eigenen Regeln, er scheitert.

Lob keinen Tag vor seinem Abend, lob keine Woche vor dem Ende und freu Dich nicht zu früh mein Kind. Früh gefreut, oft bereut, LaLeLu, wer schaut zu? Wenn sie zu zerren beginnen, die mächtigen Kräfte, ist's besser stillzuhalten. Oder nicht? Was bleibt?

Dem Gelben ist es egal: "Wie's kommt, so kommt's, ist doch egal".
Der Grüne vertraut auf den großen Plan: "Wie's kommt, so kommt's, es wird für was gut sein".
Der Rote versucht sich zu wehren (es bleibt beim Versuch): "Das muss doch anders möglich sein!"
Die Blaue möchte runter vom Spielfeld.

Arme blaue Spielfigur. Mensch. Ärgere Dich. Nicht.

Der Spieler spielt das Spiel nicht mehr mit und hinterläßt eine Mannschaft, die sein Fehlen vielleicht zur Kenntnis nehmen wird.


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Nach der dritten tränenreichen Nacht fasste die Frau den Entschluß. Es war Zeit für Veränderung, sie machte sich auf und suchte

- den Jongleur (doch der war noch immer ohne Bälle in Irgendwo)
- den Spieler (doch der war mittlerweile gegen alle Regeln spurlos verschwunden)
- den Wohnungseigentümer (doch der hat schon lange alle Türen zugemauert)

Stattdessen fand sie
- eine tonlose Stimme
- einen Kessel voll brodelnder Wut
- einen großen runden gelben Mond am Ende der Straße

und dem ging sie entgegen.


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Der Jongleur. Da sitzt er nun in seinem Haus, auf dem Tisch liegen Mandarinenschalen. Die Blumen sind vertrocknet, die Uhr steht still. Große Ruhe. Der Jongleur hört ihr zu, denkend an´s Irgendwo, dort hatte er Bälle gefunden, fünf Stück. Und er jonglierte. Fünf bunte Bälle wirbelten und schlugen Purzelbäume in der Luft, wie schön!, was für ein Glück! Der erste Ball fiel in den Tiefen Abgrund, den zweiten trug der Sturm mit sich, den dritten fing ein Stymphalischer Vogel im Flug, den vierten schleuderte er wütend in´s Dornengestrüpp. Den fünften steckte er in die Hosentasche und verließ das Irgendwo. Mit einem Ball kann keiner jonglieren.


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"Hochgeschätztes Publikum, verehrte Damen, geehrte Herren, treten Sie näher." Er schreit es nicht wie die andren Marktschreier. Er ist ein Marktwisperer. Was wispert er, was hat er im Angebot? Keinen Homunculus, keine Dame ohne Unterleib, weder eine Sensation noch eine Einmaligkeit, nur die Seiltänzerin. Nichts Besonderes, meinen Sie? Auch nicht der Tanz auf einem lebenden Seil? Nun gut, meint der neugierige Besucher, nach all den Homunculi und Damen ohne Unterleib und Sensationen und Einmaligkeiten also eine Seiltänzerin. Auf einem lebendigen Seil.

Die Seiltänzerin tanzt auf ihrem Seil, ein paar Schritte vor, ein paar Schritte zurück, eine Pirouette zwischendurch. Sie strauchelt und fängt sich und lächelt wieder. Eine langweilige Vorstellung, schon oft gesehen. Leiser Trommelwirbel, kaum vernehmbar, kündigt die Veränderung an. Ihr erstarrendes Gesicht, ihr Verharren kündigt die Veränderung an. Wer genau hinsieht erkennt die Regung des Seiles. Sie umklammert ihr Schirmchen. Locker bleiben möchte man ihr zurufen, das Seil zittert doch nur ein bißchen, Du schaffst das. Das Seil zittert ein bißchen und beginnt zu wachsen. Das Seil beginnt zu atmen. Die Seiltänzerin steht auf einem baumstammdicken sich windenden Seil und tanzt nicht mehr. Eine Seilsteherin. Das Seil windet und bäumt sich und schnalzt, sie fliegt durch die Luft [dem Publikum einen formvollendeten Salto präsentierend] und landet auf den Beinen. Auf dem Seil. Dem Seil wächst ein Kopf, zwei drei Köpfe, Fratzengesichter züngeln und spucken Feuer. Georgina zückt ihr Schwert und schlägt einen Kopf, zwei drei Köpfe ab. Im Fallen versengt das letzte Fratzengesicht ihr Haut und Haar und Tütü, nackt und verwundet und erschöpft steht eine Seiltänzerin auf einem erschöpften Seil. Dem ein schöner Jüngling entwächst, ihr schmeichelnd, sie mit Schokolade lockend; vorsichtig geht sie [schon lange ausgehungert] auf ihn zu und Nicht!, möchte man rufen, siehst Du nicht seine Augen! und sie greift nach der Schokolade und verätzt sich am giftbeißenden Schleim in ihrer Hand, die Hände des Jünglings derweil an ihrer Hüfte, lassen sich nicht abschütteln, sie ist gepackt und wird gezogen und da beginnt sie giftbeißende Worte zu spucken und trifft nur sein kaltes Herz. Und ihre Worte werden zum endlosen Schrei bis das Glasherz des Jünglings zerklirrt. In ihrem rotpulsweichem Herz setzen sich die Splitter ab. Das Ende des Seils wird zu Mund und bläst einen Orkan, wird zu Wolke und läßt Hagel schauern, wird zu Sonne und versengt. Die Tänzerin kauert auf dem Seil, eine Träne verlierend. Steht auf und geht mit ruhigem Schritt auf das Ende des Seiles zu. Die Trommeln verstummen.

Der neugierige Besucher sieht sich um, Kinder lachen und klatschen, Erwachsene lächeln milde, er blickt zur Seiltänzerin: zum Clown geschminkt macht sie letzte Späße auf ihrem Seil, bevor ein Tusch das Ende der Vorstellung besiegelt.


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Der Kartenkontrolleur betritt am Morgen das Haus, begibt sich an seinen Platz und beginnt gleich darauf, die Eintrittskarten zu kontrollieren. Dies tut er seit nun beinahe dreißig Jahren beinahe täglich. Früher war er einmal ein Poet gewesen, warum er zum Kontrolleur wurde, daran hat er keine Erinnerung. Mit diesem fernen Leben hat er nichts zu tun. Manchmal eilt der Direktor in die Galerie, dann steht der Kontrolleur stramm. Wie von selbst geschieht das, er bemerkt es nicht. Der Direktor bemerkt es auch nicht. Neun Stunden täglich eine schier endlose Aneinanderreihung von Blicken. Blicke in´s Treppenhaus, Blicke auf Eintrittskarten, Blicke in Gesichter. Gesichter oft wie Eintrittkarten: gleichförmig, ungerührt, austauschbar. Selten geschieht es, daß ein Gesicht anders ist, doch es geschieht. Frauengesichter meist, die ihn ansehen, anlächeln. Kecke junge Frauen (für ihn sind alle Frauen jung, doch ist er sich dessen nicht bewußt) mit blitzenden lebenden Augen. Von diesen Frauen träumt er in der Nacht. Und von den Worten, die er einst liebte und die ihn zu lieben schienen. Traurige Worte waren´s, traurig und schön, die er aufsog, mit denen er lebte, um seine eigenen Worte zu finden, traurig und schön. Er träumt vom fernen fremden Leben, nach dem Erwachen erinnert er sich nicht daran. Sein Blick fällt auf ein Buch, vielleicht liegt es im Schaufenster eines Geschäftes, und er fragt sich "weisst du noch, damals ...", doch die Antwort bleibt er sich schuldig, weil er weiss es nicht, er könnte es wissen, wenn er wissen könnte, wenn er wissen wollte. Oft hat er starke Magenschmerzen.


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Der Kreis, wie den Kreis beschreiben, ist ein Kreis beschreibbar? Sind Anfang und Ende eins? Aneinandergereiht sind ein Wort, eine Berührung, ein Wort, eine Berührung; bunte Holzperlenschnüre am Arm eines kleinen Mädchens, eine rote, eine blaue, eine rote, eine blaue. Das System macht die Ruhe. Und aus der Ruhe wächst die Kraft - ach so. Da möcht einer jonglieren, aber er hat keine Bälle, versucht´s mit was andrem, Geldstücke zu klein, Schuhe zu unhandlich, Kaffeetassen zu zerbrechlich, was soll er nun tun? Jonglieren möchte er, nichts als Jonglieren, sieht bunte Bälle fliegen, wirbeln, Purzelbäume schlagen, er möchte es tun, sehnt sich nach berühren, wirbeln lassen, fangen (der Bälle), nach Üben und schließlich Beherrschen der Bälle und geht los, welche zu suchen. In der Küche 2 Mandarinen, die schmecken ihm gut, im Kinderzimmer ein Fuß- und ein Baseball, zu groß, im Klo nichts. Wenn das Reale keinen Bestand mehr zu haben scheint, hält sich der Suchende (?) an Symbolen fest, sie werden zu Stellvertretern.

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