Franziska Gräfin zu Reventlow [18.5.1871 - 26.7.1918]:

Tagebuch 1897, 29. April





Wieder diese trostlose Schwermut. Nach Konstanz und wieder zurück. Dort sehe ich in die kleine Konditorei und dachte an die Tage in Bozen, wo ich immer wußte, jetzt habe ich noch soviel Tage vor mir, jetzt noch soviel. Ich habe den ganzen Rückweg geweint, um mich her so heller Sommer, das machte mich immer trauriger. Ich könnte jeden fremden Menschen anreden und ihm sagen: hilf mir doch. Aber ich finde nicht einmal einen Fremden.

Oft rudere ich auf den See hinaus, einmal eine Stunde lang und denke plötzlich, wenn ich mich nun hineinstürzte, dann wäre Ruhe. Und wäre es nicht besser für mich und mein Kind? — Ich will ja leben, so gern leben und kann doch diese Gedanken nicht los werden. Ich glaube, ich werde verrückt, und es ist nur ein Rest von Verstand, der mich von alledem zurückhält. Daß das Wahnsinn wäre, weiß ich selbst, alles wird in mir aufblühen — aber es kommt wieder und wieder.

Krank und elend, schwach zum Umfallen. Ach, es wäre eine Wollust, einmal wieder krank zusammenzubrechen, nichts mehr denken und fühlen zu müssen.

Ob ich jemals wieder kräftig werde, wie ich es war, und nach meinen Zielen laufen kann? — Durch diese Krankheit ist mir ja immer alles genommen worden. In diesem letzten Jahr keine Arbeit, die mich nicht umwarf, kein Genuß, den ich nicht büßen mußte.

Oder ist das übertrieben — hab' ich nicht doch viel genossen, viel getobt — mehr wie andere in ihrem ganzen Leben? Ich wollte immer zuviel und will noch zuviel, die alte Geschichte. Alles haben, alles können, alles genießen.